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- Kleine Sprachen, kleine Fächer
Kleine Sprachen, kleine Fächer
Wer Dänisch kann, sticht heraus!
Dänisch lernen? Skandinavistik studieren? Ist das nicht die Lizenz für zukünftige Arbeitslosigkeit? Keineswegs, meint die Dänin Marlene Hastenplug, die seit über 20 Jahren ihre Muttersprache an der Goethe-Universität Frankfurt unterrichtet. Eine kleine Sprache zu beherrschen, bietet nach ihrer Erfahrung lauter Vorteile. Um welche es sich handelt, verrät sie uns in diesem Gespräch.
Manche Sprachwissenschaftler halten Dänisch für die schönste Sprache Europas. Haben sie recht?
Marlene Hastenplug: Das höre ich ehrlich gesagt nicht so oft (lacht). Ich selbst finde sie schon schön, es ist ja meine Muttersprache; mit ihr verbinde ich Erlebnisse und Emotionen. Meine Studierenden finden die Sprache allerdings eher lustig.
Lustig?
Ja, im Unterricht amüsieren sie sich immer wieder mal, aber nicht auf höhnische Weise, sie finden die Sprache charmant.
Stimmt es eigentlich, dass das dänische Wort für Morgenmantel „psykopatfrakke“ ist, also „Psychopathenfrack“?
Offiziell im Wörterbuch steht das nicht, es ist eher urban slang, aber ich finde das Wort recht witzig!
Halten wir uns an die offizielle Sprache … Aufs erste klingt Dänisch so, als sei die Sprache ziemlich schwer auszusprechen?
Das wiederum höre ich ziemlich oft. Aber es stimmt nicht! Es gibt im Dänischen zwei Laute, die es im Deutschen nicht gibt. Einmal ein weiches D – und dann noch ein zusätzlicher Vokal, der so ähnlich klingt wie ein offenes O. Es ist eine Frage der Übung; mit der Zeit können Deutsche diese Laute gut aussprechen. Eine Kollegin von mir in Kopenhagen, die dort an der Uni Dänisch für Ausländer unterrichtet, sagt immer, dass den Deutschen die Aussprache am leichtesten fällt. Sie sind prädestiniert dafür, die dänische Sprache sehr gut zu beherrschen!
Das ist ja erfreulich. Es stellt sich allerdings die Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, Dänisch zu lernen? Wäre es nicht vernünftiger, sein Englisch zu verbessern oder gleich mit Chinesisch anzufangen?
Es ist natürlich nicht verkehrt, gut Englisch zu sprechen. Aber wer Dänisch kann, sticht einfach heraus! Das können die wenigsten; man zeigt, dass man etwas Besonderes ist. Wer mit Dänisch beginnt, macht auch schnell Fortschritte – was man vom Chinesischen z. B. nicht unbedingt behaupten kann. Und auch sonst ist es keineswegs sinnlos, wenn man Dänisch kann. Deutschland ist Dänemarks wichtigster Handelspartner, es gibt intensive Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern.
Und wer Dänisch versteht, bekommt auch Einblicke in die Gesellschaft …
Genau – die skandinavischen Länder gehören ja immer zu den führenden Nationen im sogenannten World Happiness Report; wir zählen also zu den glücklichsten Völkern der Welt (lacht). Dänemark ist ein gut organisiertes Land, in dem die Menschen zufrieden leben. Die Work-Life-Balance stimmt; man kann wirklich einiges lernen …
Was konkret kann sich denn Deutschland zum Vorbild nehmen?
In Kopenhagen fällt mir immer wieder auf, wie viele Leute dort mit dem Fahrrad fahren – zur Arbeit, zur Uni, zur Schule, überallhin. Die Bedingungen für den Fahrradverkehr sind hervorragend, es gibt Schnellwege, Fahrradbrücken usw. Da könnten deutsche Städte wirklich lernen, wie man das macht, denn für die Umwelt ist das ebenso gut wie für die Fitness der Leute, und man ist meistens sogar schneller als mit dem Auto. – Ein ganz anderer Punkt ist das dänische Bildungssystem, das sich vom deutschen stark unterscheidet. Wir trennen die Schüler nicht so schnell in Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten, die Umgangsformen sind total anders, auch die Art des Lernens. Vieles wird durch Projekte vermittelt, und da ist es wichtiger, kreativ zu sein und im Team zu arbeiten. Das alles einmal kennenzulernen, kann sehr bereichernd sein.
Kann man eigentlich an der Uni „nur“ Dänisch lernen – oder muss man dazu Skandinavistik studieren?
Es geht beides. Ich habe auch junge Leute in meinen Kursen, die eigentlich Medizin, Geografie oder Pädagogik studieren und die Dänisch z. B. irgendwie für ihr Fach gebrauchen können. Oder sie haben private Gründe. Daneben kann man eben das Fach Skandinavistik studieren, das man in Frankfurt mit dem Bachelor oder dem Master abschließen kann. Da wählt man dann eine der drei festlandskandinavischen Sprachen, z. B. Dänisch. Die anderen beiden Sprachen, also in dem Fall Schwedisch und Norwegisch, kann man nach dem Studium aber auch lesen und verstehen.
Abgesehen von den Sprachen – was lernt man noch in der Skandinavistik?
In Frankfurt ist die Skandinavistik ein philologisches Fach. Man muss es mögen, viel Literatur zu lesen, sich mit literaturwissenschaftlichen Theorien zu beschäftigen. Man erlangt die Fähigkeit, mit großen Stoffmengen umzugehen und das Wichtigste zu erkennen. Man lernt aber auch, eine fundierte Kritik zu geben und gut zu argumentieren. Das sind überaus nützliche Kompetenzen.
Im Vergleich etwa zu Germanistik oder BWL ist Skandinavistik ein sehr kleines Fach. Wie ist die Stimmung am Institut?
Dass wir so klein sind, bringt eigentlich ausschließlich Vorteile. Die Studierenden selbst sagen immer: „Hier geht man nicht unter. Es ist nicht anonym.“ Und in der Tat haben sie von Anfang an einen persönlicheren Kontakt zu den Lehrenden und auch zu ihren Mitstudierenden. Die Dozenten geben auch viel mehr Feedback bei Hausarbeiten. Das alles ist sehr positiv. Hinzu kommt, dass es am Institut Exkursionen und viele Veranstaltungen gibt, die die Studierenden aktiv mitgestalten können, z. B. Literaturfestivals oder Übersetzungsprojekte. Sie haben wirklich die Möglichkeit, sich einzubringen.
Hat man mit einem abgeschlossenen Skandinavistik-Studium Chancen auf dem Arbeitsmarkt? Oder muss man sich darauf einstellen, als Taxifahrer zu enden?
Also, die Sache mit dem Taxifahren ist wirklich ein Mythos (lacht). Von unseren ehemaligen Studierenden fährt, soweit ich weiß, niemand Taxi …
In welchen Branchen landen sie denn?
Da gibt es ein sehr großes Spektrum. Gar nicht so wenige Absolventen haben auch in ihrem Beruf noch etwas mit Dänisch oder den anderen skandinavischen Sprachen zu tun. Ein beliebtes Berufsziel ist es, literarischer Übersetzer zu werden, aber da ist die Konkurrenz riesig. Vier, fünf namhafte Übersetzer haben aber bei uns studiert. Verlage, Medien, Marketing oder Erwachsenenbildung sind weitere Felder. Nicht zu vernachlässigen sind die skandinavischen Unternehmen in Deutschland, nicht nur IKEA. Daneben gibt es aber auch ganz andere Bereiche. Eine ehemalige Studentin arbeitet bei einem Kongressveranstalter, eine andere bei einem IT-Unternehmen. Sie hat den Job übrigens vor allem wegen ihrer Sprachkenntnisse bekommen.
Wie finden Studierende ihre zukünftigen Arbeitgeber? Ein Zauberwort ist vermutlich auch hier „Praktikum“?
Ja! Unternehmen melden sich teilweise sogar bei uns am Institut, wenn sie Praktika oder Jobs zu vergeben haben. Wir leiten solche Anfragen über die institutsinterne Mailingliste und über einen Facebook-Account weiter. Das hat schon vielen Studierenden geholfen. An kleinen Instituten klappt sowas natürlich besser.
Das hört sich gut an! Noch eine letzte Frage: Was hat es eigentlich mit dem dänischen Wort „Hygge“ auf sich, das man nun auch bei uns überall liest und sogar schon Eingang in den Duden gefunden hat?
Gute Frage, das Wort wird in Deutschland meistens so verwendet, als sei es ein Inneneinrichtungs-Stil, aber in Dänemark ist es etwas ganz anderes bzw. viel mehr. Es ist eine gemütliche Atmosphäre, die man z.B. mit Familie oder Freunden im Alltag genießt. Es hat also auch etwas mit dem Glücklichsein zu tun. Und davon verstehen wir Dänen ja was.
TUSIND TAK!
Das Universitätsfach Skandinavistik – oder zumindest skandinavische Sprachen – kann man an 16 Orten in den deutschsprachigen Ländern studieren. Manchmal heißt das Fach auch Nordische Philologie oder Nordeuropa-Studien. Fast alle Institute unterhalten gute Kontakte zu Hochschulen im Norden, so dass Studierende im Rahmen des ERASMUS-Programms der Europäischen Union unbürokratisch Auslandssemester in Odense, Tromsø, Linköping, Reykjavík oder an anderen Orten verbringen können. Eine gute Übersicht über die fachlichen Schwerpunkte an den einzelnen Unis bietet dieser Wikipedia-Artikel: